Mittwoch, 24. August 2005
Was wäre wenn
In einem fernen Land

Es begab sich, dass in einem fernen Land Wahlen anstanden. Die Leute hatten genug von immer den gleichen Leuten,und so beschlossen sie, das zu ändern. Es gab einen heftigen Wahlkampf. Am Ende siegten, zu aller Überraschung, die Schneider. Richtig gehört, die Schneider. Es gab starke Innungen die sie vertraten, und die eine Menge Lobbyarbeit verrichteten.

Nun, die Menschen waren erstaunt, aber nicht unglücklich. Was konnte unter einer Regierung von Schneidern schon schlechter werden?

Nachdem die Schneider ihre Minister ernannt hatten, wurden erste Gesetze erlassen. Als Erstes erließen sie ein allgemeines Nähverbot.
Jegliche Näharbeit, die nicht von einem Schneider ausgeführt wurde, erklärten sie für illegal. Bis zu einem Stichtag mussten alle Nähmaschinen, Nähnadeln, Garn, Stoffe, Knöpfe und anderes Utensil abgegeben werden. Der Besitz wurde für illegal erklärt und unter strengste Strafe gestellt. Auch Näharbeiten für den Eigenbedarf waren verboten.

Die Menschen waren schockiert, trauten sich aber zu keiner Gegenwehr.
Als Folge sah man immer mehr zerlumpte Gestalten die öffentlichen Plätze bevölkern. Abgerissene Knöpfe, eingerissene Hosen waren an der Tagesordnung. Daraufhin folgte das nächste Gesetz: Zum Schutz des Ansehens in der Öffentlichkeit wurde jeder Bürger verpflichtet, beim geringsten Anzeichen eines beschädigten Kleidungsstückes einen Schneider aufzusuchen. Schneider wurden ermächtigt, bei Sichtung von Beschädigungen selbst aktiv zu werden. Sie nannten dies "Geschäftsführung ohne Auftrag". Eine eigens aufgestellte Kleiderpolizei verhaftete unverzüglich jeden, der auch nur mit dem Anschein eines losen Knopfes auf der Straße lief. Es wurden Schneider beobachtet, die mit kleinen Messern versehen, den Menschen die Kleidung beschädigten. Kurz darauf meldeten sie diese Menschen bei der Kleiderpolizei.

Die Schneider wurden ermächtigt, den Lohn ihrer Arbeit nicht nach dem geleisteten Aufwand, sondern vom Wert der Kleidung abhängig, zu berechnen. Wer den Nachweis über den Wert seines Kleidungsstückes nicht erbringen konnte, wurde geschätzt. Nach Ansicht der Schneider war das Land sehr vermögend, nahezu jeder trug in ihren Augen Designerwaren am Leib. Dementsprechend hoch fielen die Rechnungen aus. Bekannt wurde der Fall einer alleinerziehenden Mutter, die für ihre 3 Kinder T-Shirts beim Discounter für 3 Euro das Stück erwarb.
Unglücklicherweise kam ihr der Kassenzettel abhanden. Nach einer kleinen Rangelei auf dem Spielplatz stellte die Kleiderpolizei Bekleidungsschäden in Höhe von 2.000 Euro fest. Der eilends herbeigerufene Schneider behob die Schäden augenblicklich. Die Wohnungseinrichtung der Mutter, die sich weigerte zu zahlen, wurde gepfändet.

Irgendwann kamen einige Schneider auf die Idee, ihrer eigenen Arbeit doch etwas zu misstrauen. Sie gaben das genähte Produkt an einen Kollegen weiter, der jede Naht noch einmal bearbeitete. Obwohl einige grundlegende Arbeitsgänge bereits getan waren, berechnete jeder Schneider noch einmal den vollen Preis. Das Volk stöhnte unter den schier unglaublichen Belastungen durch die Schneider, aber da es sich nun einmal um Gesetze handelte, konnte keiner dagegen angehen.

Schweißgebadet bin ich aufgewacht. War ich froh, dass es so etwas bei uns niemals geben kann.

... link (1 Kommentar)   ... comment